Rückblick auf die Criminale
Der Höhepunkt im Schaffensjahr eines Krimischriftstellers ist die Criminale im Frühjahr. Jedoch ist die Criminale nicht nur ein Festival der Autoren für Autoren, sondern vor allem eines für die Leser des kriminellen Genres und sogar für die ausrichtende Stadt.
Dieses Jahr trafen sich also über 200 Autoren des Syndikats in Hannover. Nicht nur, um sich kriminalistisch weiterzubilden, sondern sich vier Tage lang über die neuesten Entwicklungen in den Genres Krimi und Thriller auszutauschen. Auch das Feiern gehört zur Criminale. Zudem darf das Spekulieren nicht fehlen, wer dieses Jahr den begehrten Glauser in den Händen halten wird.
Kurzum:
Alle Jahre wieder
kommt die Criminale
zu den Autoren nieder,
die warten auf Glausers Pokale.
Die Criminale gleicht dem Weihnachtsfest des Syndikats, während die Glauser-Gala zu Recht als die Bescherung bezeichnet wird. In diesem Blogartikel beschreibe ich, wie ich persönlich das größte Krimifestival erlebt habe.
Eröffnungsgala der Criminale
Ich hatte noch vor meiner Abreise eine Nachtschicht eingelegt, sodass ich nach nur zwei Stunden Schlaf die Zugreise nach Hannover antrat. Nach acht Stunden Fahrt erreichte ich in Niedersachsens Hauptstadt also die U-Bahnstation Schlägerstraße. Wenig später wechselte ich völlig erschöpft nach dem Einchecken in das Land der Träume.
Währenddessen moderierte Jan Egge Sedelies die Eröffnungsgala der Criminale, in der Nina George, Gisa Pauly und Eva Almstädt sich die Ehre gaben. Der Glauser für die Verdienste rund um die Kriminalliteratur ging heuer an den Schweizer Schriftsteller Paul Ott.
Das Bloody Cover 2024 ging an die Anthologie Tee, Matcha, Mord, von Anke Küpper & Franziska Frenze herausgegeben, erschienen bei HarperCollins. Die Gala wurde zum Glück auch auf YouTube gestellt.
Criminale: Bildung statt Träumen
An den beiden folgenden Tagen änderte sich das Motto der Criminale. Das Land der Träume wurde abgemeldet und die Bildung dafür angemeldet. Ein dichtes Programm interessanter Vorträge und Seminare folgte. Davon möchte ich zwei Events besonders hervorheben.
Recherchereisen
Besonders interessant erwies sich auf der Criminale das Referat über das Organisieren der Recherchereisen von Sandra Åslund. Während des Plottens und Umsetzens eines Romans tauchen Fragen auf, die man über die Recherche klären will. Dabei ist zuerst die klassische Metafrage zu beantworten, wann, wo und wie genau welche Fragen bearbeitet werden.
Sandra Åslund brachte den Tipp, sich bei Fragen der Recherche an die Staatsanwälte zu wenden. Dieser Schritt kann sich als Schatz erweisen, wenn man sich von geklärten Verbrechen für seine Krimis inspirieren lassen will.
Manchmal braucht es ein Seminar, um das Selbstverständliche aufs Radar zu kriegen. Dazu zählt die Idee, sich mit kleinen Geschenken aus der Steiermark bei den Recherchepartnern zu bedanken.
Ich werde auf dem Tool Notion eine Checkliste für Recherchen und die Organisation der Reisen entwickeln. Falls sie mir gut gelingt, werde ich sie auf meiner Webseite zum Download anbieten.
Lesungskonzepte
Was Lesungen betrifft, haben wir es mit zwei gegensätzlich aufgestellten Schulen zu tun. Die einen behaupten, dass allein der Text für sich sprechen muss und jeder Schnickschnack nur die Lesung verwässert. Die andere Fraktion vertritt die Meinung, dass die Leute daheim den Roman selbst lesen können und sie deshalb nicht die Lesung besuchten.
Der Vortrag von Lena Johannson bei der Criminale bildete die Synthese und präsentierte das TATEN – Modell ausgehend vom Romanstoff, den man präsentieren will. Man beginnt zuerst mit dem Thema des Romans und stellt sich die Frage, woran man bei der Lesung anknüpfen kann. Davon ausgehend erschließt sich die benötigte Ausstattung und Deko. Wenn das Thema die Blindheit ist, bietet es sich an, den Raum abzudunkeln. Hat man zum Beispiel einen Lottogewinn zum Thema, kann man das eine oder andere Werbeplakat für die Lotterie in den Raum stellen. Danach folgen die Talente, die man in die Veranstaltung einbinden kann. Die Premiere von Blutiges Gelübde fand im Chinesischen Zimmer im Stift Rein statt, das auch in diesem Roman eine Rolle spielt. Ein Musiker hatte den Auftrag, nach der Eröffnungsszene, das Lied „I don’t like mondays“ zu spielen. Generell sollte man bei einer Lesung nicht nur lesen.
Besonders gut kommt es an, wenn man das Publikum auf die Recherchen zum Roman mitnimmt und ihnen Bilder von den Recherchereisen zeigt und ihnen etwas über die Begegnungen mit den Informanten berichtet. Man kann die Besucher in die Lesung durch ein Quiz in das Thema einbinden. Ebenfalls eignet sich der Sponti, indem man die Besucher eine Seitenzahl nennen lasst und dann daraus einen Absatz vorliest. Liest man mit mehreren Kollegen, kann man ein Karussell veranstalten, wo jeder nach Nennen einer Seitenzahl einen vollständigen Satz auf der jeweiligen Seite zum Besten gibt.
Die Criminale brachte Hannover die lange Nacht der Verbrechen
Die Criminale 2020 sollte in Hannover stattfinden und wurde wegen Corona abgesagt. Dasselbe Schicksal ereilte auch die Criminale im Folgejahr, wo ich mich mit einer kurzen Lesung aus dem Roman Blutiges Gelübde in der langen Nacht der Verbreichen einen Beitrag leisten wollte. 2022 und 2023 passte es
nicht und nun stand das Böse in den Alpen vor der Tür. Die Veranstaltung wurde von Isabella Archan glänzend moderiert und ich hatte die Ehre bei diesem Event der Criminale als Erster auf die Bühne zu treten. Dabei trat ich als Amok laufender Sniper auf, der vom Grazer Uhrturm aus den Bräutigam ermordete.
Jeder Autor hatte exakt sieben Minuten Zeit, seinen Stoff zu präsentieren und es folgte ein Pfiff am Ende der Lesezeit. Dass mir eine perfekte Punktlandung gelang, macht mich unheimlich stolz. Es war mir eine besondere Ehre, bei all den hervorragenden Präsentationen dabei zu sein, wobei mir die Darbietung von Christian Scherl besonders gut gefiel. Sein Regionalkrimi Tod am Grünen See spielt rund um die Ortschaft Thörl in der Obersteiermark.
Die Bescherung der Criminale
Der Höhepunkt jeder Criminale des Syndikats ist die Verleihung des Glausers. Dieser Preis wird in den Kategorien Roman, Debüt, Kurzkrimi, Jugendkrimi und Kinderkrimi verliehen. Auch die Gala zur Verleihung des Glausers wurde vom Syndikat aufgezeichnet und auf YouTube gestellt:
Mir gefiel besonders gut, dass die Jurys in den letzten beiden Kategorien nicht aus Germanisten im Elfenbeinturm bestand, sondern dass Kinder und Jugendliche die „kriminellen“ Werke selbst begutachteten. Ebenso freute es mich sehr, dass alle Jurys Mut beweisen und sowohl neue Pfade beschritten als auch den zentralen Wert der Qualität bewahrten.
Kinderkrimi
Der Glauser für den besten Krimi für Kinder ging an Lena Hach, die mit dem im Mixtvision-Verlag erschienen Titel Was Wanda will die Jury vor allem mit der lockeren und witzigen Art überzeugte. In diesem Buch geht es um ein Mädchen, das sich an ihrem Vater rächen möchte und eine Gruppe Jugendlicher zusammen trommelt. Dieser Krimi ist vor allem deshalb besonders, weil er aus der Sicht der Bösen erzählt wird. Jedoch erfährt man das erst im Lauf des Buchs.
Jugendkrimi
Oracle von Ursula Poznanski hat den Glauser für den besten Jugendkrimi verdient erhalten. Oracle erschien bei Loewe und schaffte es bereits auf die Spiegel-Bestsellerliste.
In diesem Buch geht es um die Gabe des prophetischen Sehens und die Art wie Poznanski dieses Phänomen beschreibt, gibt mir eine Vorstellung davon, wie es möglicherweise beim Seher Nostradamus abgelaufen sein könnte. Allein deshalb werde ich mir das Buch zu Gemüte führen.
Kurzkrimi
Der Glauser für den besten Kurzkrimi geht an Franziska Henze, die in der Anthologie Tatort Nord 2 bei Harper Collins Grenzerfahrung veröffentlicht hat.
Eine Frau checkt in jenem Hotel ein, in dem sie vor 30 Jahren bei der Flucht aus der „DDR“ gestrandet ist. Als ein junger Mann realisiert, wer an der Rezeption sich eincheckt, ändert sich alles. Dank Henzes geschickter Führung der Perspektive sehen wir hilflos zu, wie sich zwei Leben auf ein tragisches Ende zubewegen.
Kriminalroman
Der Glauser für den besten Roman ist die Königsdisziplin im Syndikat. Es handelt sich um jene Kategorie, die das Syndikat seit 1986 verleiht.
In diesem Jahr ging die Trophäe an Joachim B. Schmidt für den Roman Kalmann und der schlafende Berg, der bei Diogenes erschienen ist.
Die Jury beschrieb das Werk als packend grandiosen Kriminalroman, der nicht moralisierend, sondern humorvoll die Zusammenhänge rund um den Sturm auf das Capitol am 6. Jänner 2021 darstellt.
Bestes Debüt
Eine Schale voll Erdnüsse scheint harmlos zu sein, bis man den ersten Kern in den Mund steckt. Genau so verhält es sich mit Gestohlenes Kind von Caroline Seibt, erschienen bei DP Digital Publishers. Man kann nicht mehr aufhören, sobald man den ersten Satz gelesen hat.
Das beste Debüt mauserte sich heuer zur Kaiserdisziplin des Glausers. Die Jury sprang über ihren Schatten und kürte ein digital verlegtes E-Book als das beste Erstlingswerk. Dadurch wurde eine gläserne Decke durchbrochen!
Die historische Entscheidung wird hoffentlich bei den Veranstaltern der Krimifestivals zu einem Umdenken führen. Mit dem Glauser für Gestohlenes Kind ist der Beweis erbracht, dass seriöse Digitalverlage genauso wie etablierte Printverlage imstande sind, gute Literatur zu liefern. Vielleicht könnten die Digitalverlage ihrerseits mit kleinen Auflagen im Print dafür sorgen, dass man aufhört, jene Verlagsautoren bei Festivals und in den Stadtbibliotheken zu diskriminieren.
Feiern auf der Criminale
Als der Glauser für das beste Debüt bekannt gegeben wurde, jubelte ich aus obigen Gründen so laut auf, als hätte ich den Preis selbst gewonnen. Es war mir eine große Ehre, Caroline Seibt zu diesem historischen Erfolg zu gratulieren, der einen Durchbruch für alle Verlagsautoren bedeutet, deren Werke in Digitalverlagen erschienen sind. Beim Feiern mit Caroline Seibt konnte ich erkennen, wie schwer so ein Glauser wirklich wiegt.
Die Criminale ist jedes Jahr ein besonderer Höhepunkt und der spannende Austausch mit Kollegen und Kolleginnen in der schreibenden Zunft ist immer wieder ein inspirierendes Erlebnis, sodass ich mit einem guten Gefühl und voll gepackt mit neuen Ideen die Heimreise antrat.