Show don’t tell

Auf der Buchpremiere von Blutiges Gelübde unterhielt ich mich mit einer adretten Besucherin über das kreative Schreiben. Nach wenigen Minuten tauchte die Frage auf, wie es einem Schriftsteller gelingt, 500 Seiten zu verfassen, ohne die Leser zu langweilen. Mit einer Portion Bewunderung sagte sie mir:

Nach dreißig Seiten hätte ich keine Ideen mehr, weil alles schon in diese Geschichte verpackt worden wäre.

Die Frage zauberte ein kurzes Lächeln auf meine Lippen. Dann lieferte ich ihr die Antwort: Show, don’t tell!

Sie sah mich mit großen Augen an und wollte von mir wissen, was genau ich damit meinte. Genau darum soll es in diesem Blogartikel gehen. Er geht der Frage auf den Grund, wie ein Schriftsteller viele Seiten zu einem Thema schreiben kann, während ein Anfänger nach 10 bis 30 Seiten am Ende seiner Fahnenstange ankommt. Dieser Artikel soll klären, was genau hinter dem show, don’t tell steckt.

Was steckt hinter "show don't tell"?

Sowohl das kreative als auch das literarische Schreiben sind Handwerk, das man erlernen kann. Natürlich bedarf es stetiger Übung, um seine Textkraft laufend zu stärken. Bei der Textgattung des Romans, der Novelle und der Kurzgeschichte kommt es vor allem darauf an, dass man die Dinge zeigt und nicht einfach nur behauptet. Oder wie es auf Englisch heißt: Show, don’t tell!

Was ist nun der Unterschied zwischen behaupten und zeigen? Wenn man einen gut geschriebenen Roman der Unterhaltungsliteratur liest, wird man in die Geschichte so hineingezogen, sodass man sie beim Lesen miterlebt. Falls man hingegen zum Beispiel in der Zeitung einen Bericht über ein Geiseldrama liest, hat man in der Regel nicht das Gefühl, direkt Erlebniszeuge des Ereignisses zu sein. Wenn man beim Lesen die Geschichte erlebt, dann wurde erfolgreich die Technik show, don’t tell angewandt.

Ein schlechter Romananfang

show don't tell

Als Anfänger versuchte ich einen Krimi, aus dem später Blutiges Gelübde wurde, mit einer Routinebesprechung bei der Kriminalpolizei zu starten. Allerdings hätte der Text die Polizei nur zu einem Lacheinsatz veranlasst. Legen wir also mit dem Negativbeispiel los:

Am Vortag war im Stadtpolizeikommando ein anonymer Brief eingelangt, dem ein eigenartiges schwarzweiß gehaltenes Foto beigelegt worden war. Normalerweise hätte man den Fall der Stadtpolizei überlassen, doch war es gerade Hutnagl, der darauf bestanden hatte, dass man diese Sache dem Landeskriminalamt überlasse.

Sabrina und ihre Kollegen hatten sich deshalb zu einer Besprechung getroffen, weil in dem in einem sehr schlechten Deutsch verfassten Brief vor einer großen Katastrophe in Graz gewarnt worden war. Zudem hatte der anonyme Verfasser vom beigelegten Foto behauptet, es wäre eine prophetische Aufnahme. Die gesamte Mannschaft hatte bei dieser Stelle im Schriftstück laut gelacht, zumal vom Briefschreiber gefordert worden war, das Alter des Fotos zu bestimmen. Über dem Bild stand ein komischer Spruch und auf der Aufnahme selbst war ein totes Brautpaar zu sehen.

Damals legte ich meinen Romananfang einem guten Freund vor und bat ihn um ein ehrliches Feedback. Sein Urteil fiel zu Recht wenig ermutigend aus.

Der Text liest sich wie ein Mickey Spillane auf LSD. Da kennt sich keiner aus! Wirklich keiner! Sabrina und Hutnagl kommen einfach nicht zur Geltung. Beide sind so flach wie das Papier! Außerdem fehlen die Dialoge! Und zwar, völlig!

show don't tell

Einfach erzählen ist keine gute Idee

Wenn man noch nichts von show don’t tell gehört hat, kommen in der Regel solche Texte wie in diesem Negativbeispiel heraus. Als Autor hat man eine Szene im Kopf, doch kommt diese beim Leser einfach nicht an. Werfen wir nun einen Blick auf den schwachen Romananfang und analysieren wir, wie er für massive Verwirrung sorgt. 

Der einleitende Absatz beginnt mit einer Rückblende und nicht mit den aktuellen Ereignissen. Es wird behauptet, dass am Tag zuvor ein anonymer Brief bei der Polizei eingelangt wäre und danach noch erklärt, dass Herr Hutnagl, von dem wir an dieser Stelle nur seinen Namen kennen, den Fall an sich gerissen hätte, obwohl er dafür eigentlich nicht zuständig ist. Damit wird zwar ein Konflikt zwischen dem LKA Steiermark und der Kriminalabteilung der Stadtpolizei versprochen, der jedoch im weiteren Text keine Rolle spielt.

Als Leser möchte ich jedoch Zeuge von Konflikten werden und diese von Anfang bis Schluss miterleben. Hier wird allerdings nur emotionslos über das Meeting berichtet.  Wir erfahren nicht, welche Katastrophe genau Graz droht. Man erfährt nur, dass auf dem Foto sich irgendein eigenartiger Schriftzug befindet, jedoch spielt dieser ebenfalls keine Rolle in der Besprechung. Wir erfahren nur, dass das Foto angeblich prophetisch wäre und sich die Polizisten über diese Aussage amüsiert hatten.

Die Probleme verschärfen sich, wenn man versucht, sich die Figuren Kurt Hutnagl und Sabrina Mara lebhaft vorzustellen. Der Text scheitert auch in dieser Hinsicht fulminant. Wir wissen deren Alter nicht, haben keine Ahnung von ihrem Aussehen und wissen auch nichts von ihrer Welt- und Lebensansicht. 

Macht show don't tell den Text besser?

Show don't tell

Wer auf das Behaupten verzichtet und stattdessen den Text sinnlich erlebbar macht, kräftigt jedes Wort seiner Ausführungen. Nun werde ich das Negativbeispiel im Sinne von show don’t tell überarbeiten, um dadurch die Wirkung dieser Technik zu zeigen.

Sabrina sah zu ihrem Chef, der ein vergilbtes Foto und einen Brief aus dem Kuvert zauberte. »Auf Ideen kommen die Leute!« Hutnagl faltete das Papier auseinander und drehte das Blatt in die richtige Position.

»Sehr geehrte Polizei Damen und Herren«, las Hutnagl vor, »Eižens Finks war Prophet wie Nostradamus. 1936 hat er auf See Mord aus Zukunft fotografiert! Opfer werden sein Bräutigam und Braut. Aber das wird nur Anfang. Donner verliert Beherrschung und Graz droht Katastrophe. Finks sagte: Er wird töten viele der Leute!«

»Nix kennen Deitsch«, imitierte der Kriminaltechniker einen slawischen Akzent. »Was der schreiben?«

»Es kommt noch viel besser.« Hutnagls graue Augenbrauen zuckten. Sein zitternder Zeigefinger kündigte die nächste Pointe aus dem Brief an. »Ich war vor dem Krieg in Graz und sah katholische Schule wie kleines Schloss. Wenn meine Kleintochter des Präsidenten Assistentin wird, droht große Gefahr zu Līgo! Nun wird sie bald Graz besuchen. Finden Sie Donner! Verhindern Sie Katastrophe! Des Foto beweist es!«

Schallendes Gelächter ließ das Besprechungszimmer erbeben. Irgendein Witzbold hatte sich einen Scherz erlaubt.

»Ganz so anonym ist der Brief doch nicht. Signiert hat das wohl irgendeine Larissa.« Hutnagls Bass dröhnte fester als gewohnt, als er das Bild in die Runde reichte. »Was meint ihr dazu?«

»Dann ist der Fall schon gelöst, oder?« Der Kriminaltechniker warf nur einen kurzen Blick auf das Foto und reichte es an Sabrina weiter. »Die Alte vom Sitten-Ölmann heißt doch Larissa. Denen ist wohl fad in der Türkei. Und drum veralbern sie uns. Aber das geben wir denen noch zurück.«

Sabrina betrachtete das schwarz-weiße Bild. »Līgavain un Līgavu« stand oben auf dem Passepartout. Dass man diese Worte mit zwei Hakenkreuze flankiert hatte, erschien Sabrina geschmacklos. Auf dem Bild lag ein Brautpaar verrenkt auf der Wiese. Der starre Blick in den Augen der Braut und des Bräutigams verriet, dass beide nicht mehr lebten.

Wie show don't tell funktioniert

Die erste Fassung kommt mit nur zwei Absätzen aus. Trotzdem lässt sie den Leser verwirrt und frustriert zurück. Für die zweite Fassung habe ich deutlich mehr Absätze benötigt. Trotzdem bin ich mir sicher, dass die Zeit während des Lesens des zweiten Textes deutlich schneller vergangen ist. Aber warum ist dem so?

Show don’t tell arbeitet mit beschreibender Sprache, die nach Möglichkeit alle Sinne anspricht und mit Dialogen, um im Kopf des Lesers einen Film zu erzeugen.

Anstatt nur die Fakten aufzuzählen oder Vorgänge zu behaupten, werden Aktionen, Gedanken und Gefühle sinnlich präsentiert. Zum Beispiel wird nicht erzählt, dass Kurt Hutnagl 57 Jahre alt ist, sondern wird dies über den Umstand der zuckenden grauen Augenbrauen gezeigt. Dass Eižens Finks ein Prophet sein soll, geht aus dem Text des anonymen Briefes hervor. Das angeblich prophetische Foto wird erlebbar, indem man es mit Sabrinas Augen betrachtet und ihre Gedanken dazu verfolgt.

In den Dialogen bekommt man durch das Handeln der einzelnen Figuren auch deren Eigenschaften mit. Gesprochene Worte transportieren zudem die Stimmung, in der sich die Personen gerade befinden. So lässt sich mit der Wahl der Worte und der Sprechweise eine Figur klar von Charakteren unterscheiden. Diese Techniken tragen dazu bei, dass der Leser die Besprechung im LKA sozusagen live ins Haus serviert bekommt.

Wie lernt man show, don't tell?

Zum Verfassen guter, szenischer Texte braucht es Ausdauer, Kritikfähigkeit und viel Geduld. Daher empfiehlt es sich viel zu lesen und viel zu schreiben. Ferner ist es ratsam, Schreibratgeber zu lesen und seine Texteden professionellen Lesern wie Autoren, Lektoren und Verlegern vorzulegen und um ein ehrliches Feedback zu bitten.

Wenn es daran im Freundes- und Bekanntenkreis mangelt, kann man sich an die Profis in der Bundesakademie Wolfenbüttel und bei der Textmanufaktur wenden, die sehr günstig hochqualitative Seminare anbieten.

Meine Schreibgruppe, der ich seit über zehn Jahren angehöre und der ich selbst viel zu verdanken habe, trifft sich ein Mal monatlich, um an unseren Texten zu arbeiten. Hier gibt es das Feedback kostenlos. Wenn ich dein Interesse geweckt haben sollte, werde ich dir die Details über unsere Treffen weitergeben, wenn du mich über das vorliegende Formular kontaktierst.

 

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert